Die ersten Vorfahren des Wisents dürften lange vor der letzten Eiszeit im südlichen Asien beheimatet gewesen sein. Von dort dehnten sie ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet nach Norden und Westen aus, bis sie schließlich mit einigen Ausnahme den gesamten asiatischen und europäischen Kontinent besiedelt hatten.
Der bekannteste Wisentvorfahre, der in zahlreichen Höhlenmalereien des Frühmenschen dargestellte Steppenwisent, dürfte während der letzten Eiszeit in großer Zahl über die weiten Kältesteppen Asiens, Europas und Nordamerikas gewandert sein. Mit dem Ende der Eiszeit verschwanden die gewaltigen Herden des Steppenwisents und der vermutlich im Kaukasus entstandene heutige Wisent besiedelte Zentral- und Westeuropa.
Es wird angenommen, dass die Gattung Bison in der erdgeschichtlichen Epoche des Pliozän (vor etwa 5 bis 2 Millionen Jahren) im südlichen Asien entstanden ist. Prähistorische Formen der ausgestorbenen Gattung Leptobos dürften direkte Vorläufer oder zumindest nahe Verwandte gewesen sein. Reste des ersten Rinderverwandten mit Bison ähnlichen Merkmalen stammen aus Nordindien. Das als Probison dehmi bezeichnete Tier dürfte dort vor etwa 2 Mio. Jahren gelebt haben. Ähnliche Funde (Protobison kushkunensis) stammen aus dem Gebiet südlich des Großen Kaukasus. Als eine wesentliche Stammform der späteren Arten wird der im späten Pliozän aufgetretene Bison sivalensis (benannt nach dem Fundort in Indischen Sivalik Hills) angesehen.
Basierend auf den umfangreichen rund 1 Mio. Jahre alten Funden aus dem thüringischen Untermaßfeld wird seit einigen Jahren Bison menneri als erster in Europa beheimateter Vertreter der Gattung Bison angesehen. Vermutlich wurden einige der zuvor hier auftretenden Vorformen im Laufe der allmählichen Abkühlung mit Beginn des Eiszeitalters (Pleistozän; vor ca. 1,8 Mio Jahren) von dieser schlanken und hochbeinigen Art abgelöst.
Der bekannteste und wohl auch am weitesten verbreitete prähistorische Wisentverwandte ist der Steppenwisent (Bison priscus).
Der mächtige und mit weit ausladenden kräftigen Hörnern ausgestattete Wisent übertraf seine heutigen Verwandten deutlich an Größe. In Europa ist dieses imposante Tier insbesondere für die Riß (vor 240.000-180.000 Jahren) und Würm-Eiszeit (vor 120.000 – 10.000 Jahren) kennzeinend. Wie Mammut, Wollnashorn und andere eiszeitlichen Tierarten war auch der Steppenwisent optimal an die Bedingungen der Kältesteppe angepasst. Während der Eiszeiten beweidete er in großer Zahl die ausgedehnten Graslandschaften des gesamten eurasischen Kontinents. Über die damals zwischen Ostsibirien und Alaska bestehende Landbrücke (Beringia) dehnte er sein Verbreitungsgebiet bis weit in den nordamerikanischen Kontinent hinein aus.
Aufgrund seiner häufigen Darstellung in der eiszeitlichen Kunst dürfte der Steppenwisent für den damaligen Menschen von herausragender jagdlicher und auch symbolischer Bedeutung gewesen sein. Besonders bekannt sind in diesem Zusammenhang die Höhlenmalereien aus dem nordspanischen Altamira oder die Zeichnungen aus dem französischen Niaux und Rouffignac.
Über das Aussehen des Steppenwisents geben aber nicht nur eiszeitliche Darstellungen Auskunft. Beispiellos gut erhaltene Fossilien wurden aus dem Permafrostboden Sibiriens und Nordamerikas geborgen. Besonders bekannt wurde im Jahre 1979 „Blue Babe“, ein Fund aus der Umgebung des kanadischen Fairbank. Der Kadaver eines ausgewachsenen männlichen Steppenwisents blieb dort im Dauerfrostboden über mehr als 30.000 Jahre erhalten.
Sicher ist, dass der Steppenwisent zu Beginn des Holozäns mit dem Ende der Eiszeit verschwunden ist. Obwohl oder gerade weil eiszeitliche Wisent- bzw. Bisonfossilien recht häufig sind - ein Drittel aller Säugetierreste im Permafrostboden wird der Gattung Bison zugerechnet - bleibt die weitere Abstammungsgeschichte der heutigen Wisente umstritten. Einerseits können die fossilen Belege einer oder bestenfalls wenigen Arten mit ausgeprägten morphologischen Variationen zugerechnet werden, andererseits werden darin auch zahlreiche eigenständige Arten vermutet.
Einige Wissenschaftler vertreten daher die Ansicht, dass der heutige Wisent auf eine kleinere kurzhörnige waldbewohnende Art (Bison schoetensacki) zurückzuführen ist, die gleichzeitig neben der größeren und langhörnigen Art der offenen Landschaft lebte. Andere gehen davon aus, dass der heutige Wisent über eine Zwischenform (Bison priscus mediator) aus dem großen Steppenwisent hervorgegangen ist. Weitgehend unumstritten ist, dass der Wisent östlich seines geschichtlich bekannten Verbreitungsgebietes entstanden ist und sich erst im Laufe des Holozäns weiter nach Westen ausbreitete. (Dr. Johannes Riedl, 2020)